Von der Postdemokratie in den Vorfaschismus – Rechtsruck und Staat

Die Realität im Deutschland des Jahres 2018 ist absurder als jede Satire. Als die ersten Gerüchte darüber aufkamen, dass Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen aufgrund der Verbreitung rechtsextremer Narrative zu den pogromartigen Ausschreitungen in Chemnitz sein Amt verlieren würde, tauchten in den sozialen Netzwerken die üblichen Parodien auf, die notorische Rechtspopulisten und Rechtsextremisten als potenzielle Nachfolger Maaßens handelten.

Kein einziger Satiriker kam aber auch nur auf die Idee, dass der oberste „Verfassungsschützer“ der Bundesrepublik für seinen offenen Flankenschutz für Rechtsextremisten auch noch zum Staatssekretär befördert werden sollte. Um das absurde Theater in der braun anlaufenden Bananenrepublik Deutschland zu komplettieren, wurde nach langen Auseinandersetzungen schließlich der Posten eines Frühstückdirektors eigens für Herrn Maaßen geschaffen. Der scheidende „El Presidente“ des Verfassungsschutzes wird sich künftig in Seehofers Innenministerium um die „innere Sicherheit“ der Bundesrepublik kümmern.

Dabei scheinen gerade die Leistungen Maaßens an der Spitze des „Verfassungsschutzes“ diesen für seinen frisch erfundenen Posten im Innenministerium geradezu zu prädestinieren. Neben seinen unsäglichen Äußerungen zu Chemnitz, die die extremistische Rechte in der Bundesrepublik geradezu beflügelten, kann der bei Kollegen als AfD-Sympathisant (Tagesspiegel) geltende Verfassungsschutzpräsident auf eine reichhaltige Erfahrung als Politberater und Dienstleister der Neuen Rechten zurückblicken.

Der Politberater der AfD

Bei Treffen mit AfD-Funktionären soll der Verfassungsschutzpräsident diese darüber beraten haben, wie sie der Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen können. Die damalige rechtspopulistische AfD-Chefin Petry wurde demnach schon im Herbst 2015 von Maaßen ermuntert, den Rechtsextremisten Höcke aus der Partei auszuschließen, um einer Beobachtung zu entgehen. Bekanntlich ist Petry aus der AfD ausgestiegen, während Höcke nach dem gescheiterten Parteiausschlussverfahren mächtiger ist denn je.

Trotzdem weigert sich Maaßen – der seine Beratertätigkeit bei den Treffen bestreitet – weiterhin, die AfD beobachten zu lassen. Dies kann die Neue Deutsche Rechte im Rahmen einer Selbsterfahrungsgruppe übrigens bald selber tun. Längst sind auch die ersten AfD-Funktionäre bekannt, die beim Verfassungsschutz arbeiten – und die nach Chemnitz die entsprechenden rechtsextremen Narrative – bedienten.

Inzwischen mehren sich Hinweise darauf, dass Maaßens Verfassungsschutz mit der AfD kooperierte, in dem er „brisante Informationen“ an die ins Extreme treibenden „Rechtspopulisten“ lieferte. Es gebe Hinweise auf „undichte Stellen“ in der Behörde, die den Rechtspopulisten Informationen zuspielen würden, die der Verfassungsschutz über sie sammele. Die schon seit dem rechtswidrigen Schreddern von sensiblen Akten im Gefolge des NSU-Skandals berüchtigte Bundesbehörde, deren Mitarbeiter „zufällig“ just zur Tatzeit sich am Tatort eines NSU-Mordes aufhielten, scheint somit unter Maaßen ihren Traditionen treu geblieben zu sein.

Die kann man buchstäblich nehmen: Die Einsicht in die Akten des NS-Kriegsverbrechers und SS-Hauptsturmführers Alois Brunner, auf die ein Journalist klagte, verwehrt der Verfassungsschutzpräsident hartnäckig bis zum heutigen Tage, wobei er ankündigte, zur Not auf eine entsprechende Änderung des Bundesarchivgesetzes hinwirken zu wollen.

„Das Gesetz bin ich“: Dies scheint die zukunftsträchtige Devise zu sein, der Maaßen – in dessen Dissertation von 1997 schon rechtspopulistisches Vokabular wie „Asyltourist“ auftauchte – als Deutschlands oberster Naziversteher folgt. Bei einer parlamentarischen Untersuchung des Terroranschlags am Berliner Breitscheidplatz erklärte Maaßen mehrmals schriftlich, dass keine V-Leute im Umfeld des Terroristen Anis Amri aktiv waren. Dies erwies sich später als eine für Maaßen folgenlose Lüge, da sich Seehofers Innenministerium hinter den „AfD-Sympathisanten“ (Tagesspiegel) stellte.

Schon als Referatsleiter für Ausländerrecht wusste der künftige „Verfassungsschützer“ das Recht möglichst rechtslastig zu interpretieren. Im Fall des unschuldig in US-Folterlagern verschleppten Murat Kurnaz verweigerte Maaßen diesem die Wiedereinreise in die Bundesrepublik – gerade weil er mehr als sechs Monate in Folterlagern inhaftiert war und seine Aufenthaltsgenehmigung deswegen „erloschen“ sei. Im Fall Edward Snowden wiederum stieß Maßen wilde Anschuldigungen gegen den US-Whistleblower aus, dem er vorwarf, ein russischer Agent zu sein, um von der Verstrickung des Verfassungsschutzes in die NSA-Affäre abzulenken.

Wenn es ihm passt, konnte der bei Rechtsextremisten und Rechtspopulisten so beliebte „kritische Kopf“ (AfD über Maaßen), der so viel Verständnis für braune Hetzjagden aufbringt, auch ganz schnell zur ganz großen Repressionskeule greifen. Journalisten des Blogs Netzpolitik.org, die aus Verfassungsschutz-Dokumenten zitierten, überzog der Verfassungsschutzpräsident mit Anzeigen wegen Landesverrats – zum ersten Mal seit der Spiegel-Affäre.

Das Amtsverständnis des Verfassungsschutzpräsidenten kam anlässlich eines 2015 geführten Interviews zum Vorschein, als Maaßen mit der potenziellen Straflosigkeit und den Allmachtsphantasien eines Nachrichtendienstes spielte: „Wir sind ein geheimer Nachrichtendienst“, erklärte Maaßen in dem Video-Interview, „wo man fast sagen kann: Bei uns kann man das machen, was man schon immer machen wollte, nur ist es legal.“

Staatlicher Flankenschutz für die Neue Rechte

Mit seiner rechtspopulistischen Schlagseite befindet sich Deutschlands ehemaliger oberster Verfassungsschützer aber nicht mehr am Rande des politischen Spektrums der Regierungskoalition, sondern in deren konservativer Mitte. Die politische Landschaft in Berlin habe sich zugunsten des AfD-Sympathisanten gewandelt, kommentierte die Süddeutsche Zeitung (SZ), da die „Riege der Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik … auch am Kabinettstisch jetzt stärker vertreten“ sei.

Der Flankenschutz des Verfassungsschutzpräsidenten für den Mob von Chemnitz, findet seinen Widerhall in der Regierungskoalition und im Staatsapparat. Und das nicht nur bei einem Innenminister, der sich des Vorwurfs erwehren muss, „er stelle sich schützend vor Rassisten“. Welches braune Potenzial sich im Verfassungsschutz angestaut hat, macht der folgende Kommentar des Verfassungsschutzchefs von Mecklenburg-Vorpommern zu Chemnitz deutlich: „Die Mehrheit der Menschen ist asylkritisch. Es muss möglich sein, das zu äußern.“

Letztendlich gehen reaktionäre Kräfte innerhalb des Staatsapparates dazu über, die Neue Rechte offen zu unterstützen. Nicht nur auf der Straße fallen alle Masken von den „besorgten Bürgern“, um die Fratze des Faschismus zu entblößen, auch die Naziversteher im Staatsapparat legen alle Hemmungen ab. Das mag lächerlich sein, wenn etwa ein an eine Realsatire des „hässlichen Deutschen“ erinnernder LKA-Mann sich bei den sächsischen Rechtsextremisten der Pegida organisiert und Fernsehteams anpöbelt, nur um zum Gespött des Internets zu werden. Doch auch hier steht hinter der lächerlichen Fratze des deutschen Vorfaschismus die Macht des sich verselbstständigenden Staatsapparates. Der als „Hutbürger“ in die Geschichte eingegangene LKA-Mann fiel weich, er ist nach seiner Entlassung beim LKA wieder im sächsischen Staatsdienst untergekommen.

Der Flankenschutz für die Rechtsextremisten von Pegida und Co. kommt dabei von ganz oben. Der „Fall Maaßen“ lege eine „schleichende und bedrohliche Entfremdung“ in Teilen des deutschen Staatsapparates offen, warnte die SZ:

Seit dem Flüchtlingsherbst 2015 hadern Vertreter der Sicherheitsbehörden mit Merkels Migrationspolitik, von Polizeigewerkschaftern bis hinauf zu Behördenleitern. Mal tun sie es offen, so wie der Hutbürger vom Landeskriminalamt Sachsen, der mit Pegida demonstrieren ging. Mal tun sie es verdeckt, wie der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann. Über Monate hinweg lag er Seehofer in den Ohren, endlich Flüchtlinge an deutschen Grenzen zurückzuweisen. Im Juni erhörte Seehofer ihn. Ergebnis: eine Regierungskrise.

Es sei ein „Trio Infernale“ aus Innenminister, Bundespolizeichef und Verfassungsschutzpräsident, das die Bundesregierung mit immer neuen Provokationen und Eskalationen vor sich hertreibe. Angesichts der gegenwärtigen rechtsextremen Welle sei dies eine „brandgefährliche Konstellation“.

Es ließe sich gar argumentieren, dass diese Kräfte im deutschen Staatsapparat die braune deutsche Welle aus machtpolitischem Kalkül bewusst fördern, um endlich die Machtfrage zu stellen. Die Tage Merkels sind gezählt, und die Antidemokraten und Protofaschisten der Neuen Deutschen Rechten im und außerhalb des Staatsapparates scharren schon mit den Hufen, um einen Elitenwechsel einzuleiten.

Die ausgehöhlte, aber formell noch gegebene neoliberale Postdemokratie, die Merkel personifiziert, sie droht in ein autoritäres präfaschistisches Regime überzugehen. Putin, Orban, Erdogan, Trump oder Kaczynski: Diese autoritären Regime sind keine anachronistischen Auslaufmodelle, sondern Zukunftsmodelle, die spätestens beim nächsten Krisenschub auch in Berlin auf der Tagesordnung stehen werden.

Das sich abzeichnende Ende der Ära Merkel wurde bei der Wahl des Fraktionschefs der CDU evident, als der Merkel-Mann Volker Kauder überraschend dem eher unbekannten Ralph Brinkhaus unterlag, der prompt vor „moralischer Überheblichkeit gegenüber Protestwählern“ warnte und damit drohte, auf diese zuzugehen. Kurz schloss die CDU Sachsens nicht aus, eine schwarz-braune Koalition mit der „Protestpartei“ der AfD einzugehen. Ähnliche Planspiele gibt es auch schon in der CSU. Offen reaktionäre Kräfte in der CDU/CSU als einer Partei der „Mitte“ arbeiten somit an einem Bündnis mit einer ins offen Faschistische abdriftenden Formation, an einem Reenactment des Tages von Potsdam..

Der Charakter der ins Faschistische taumelnden Neuen Rechten als einer konformistische Rebellion von Untertanen, die sich – verunsichert in Krisenzeiten – einen festeren Würgegriff der Macht wünschen, kommt im deutschen Frühherbst 2018 somit zur vollen Geltung. Deutschlands braune Brut sieht sich einerseits als unterdrücke Opposition, um andrerseits mit der Gewissheit zu handeln, dass sie die Macht im Rücken hat, da man nur das tue, was alle wollten. Der Aufschwung der AfD ist gerade auf die evidente Unterstützung seitens reaktionärer Teile der Funktionseliten in Staat, Medien und Wirtschaft zurückzuführen. Der faschistische Untertanengeist fühlt sich dann ermutigt, wenn er den Innenminister, den Verfassungsschutzchef, den reaktionären Mövenpick-Milliardär oder die Talkshow-Runde hinter sich weiß.

„Wenn wir regieren, werdet ihr alle eingesperrt!“

Den Staatsapparat im Rücken scheint die AfD sich schon fast an den Schalthebeln der Macht zu wähnen. Die staatlich forcierte Aushöhlung der bürgerlichen Demokratie im Rahmen der Landespolizeigesetze wird von der Neuen Rechten inzwischen offen mitgetragen, nachdem zuerst noch eine taktische Oppositionshaltung eingenommen wurde. Von allen Oppositionsparteien habe sich nur die AfD pauschal hinter die Verschärfung des niedersächsischen Polizeirechts gestellt, berichtete Netzpolitik.org.

In Bayern wendeten AfD-Trupps inzwischen „fast SA-Methoden“ an, berichteten CSU-Politiker aus dem Wahlkampf. „Wenn wir regieren, werdet ihr alle eingesperrt!“ Diese Drohungen hätten AfDler ausgerechnet bei einem Treffen der Frauenunion der CSU ausgestoßen, sagte ein CSU-Lokalpolitiker in Deggendorf. Drohungen mit „Ausmisten“ oder mit „Besuchen“, sollte sich „der Wind drehen“, würden inzwischen seitens der offen faschistisch agierenden Neuen Rechten routinemäßig ausgestoßen. Satiriker, die sich über die AfD-lustig machten, bekamen Morddrohungen und „Hausbesuche“ der AfD. Die Ortsgruppe der AfD im Hochtaunus fantasierte bereits davon, Verlage zu stürmen und Journalisten auf die Straße zu zerren.

Das Ziel dieser faschistischen Einschüchterungsstrategie ist klar: Es geht um die Erringung einer rechten Hegemonie, bei der Widerspruch nicht mehr öffentlich artikuliert werden könnte. Ganz Deutschland soll zu einer sächsischen Provinz werden.

Wie sich eine rechte Hegemonie etwa auf den Arbeitsalltag auswirkt, kennen all jene Polizeibeamten, die nicht über ein rechtes Weltbild verfügen, aus eigener Erfahrung. In der Polizei sei längst eine rechte Ideologie hegemonial, die „Linke und Ausländer“ zu Feinden erkläre, so ein Polizist in einem längeren Interview über den Polizeialltag. Der Beamte zog es vor, anonym zu bleiben – und das aus gutem Grund. Der extreme Korpsgeist der Polizei führe dazu, dass öffentliche Kritik an Rassismus oder rechten Umtreiben sehr schnell zu Karrierenachteilen führe: „Das System Polizei ist sehr speziell und es vergisst nicht. Wenn du dich beschwerst, fällt das irgendwann auf dich zurück.“ Davor hätten alle Angst.

Der Aufstieg der AfD habe auch die rechten Kräfte in der Polizei beflügelt, die sich zuvor mit öffentlichen Äußerungen „zurückgehalten“ hätten. Die Rechtspopulisten böten diesem Spektrum im Polizeiapparat nun eine Plattform, um „ihre Meinung laut auszusprechen“. Es gebe viele „Polizisten oder ehemalige Polizeibeamte, die der AfD nahestehen oder für diese politisch aktiv werden“. Selbst Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig warnte schon Anfang 2016 davor, dass die Polizei im Freistaat eine große Nähe zu Pegida und AfD aufweise.

Ein reaktionärer, autoritärer Staat im Staate tritt offen zutage, der seine Sympathien für die Neue Rechte nicht mal mehr notdürftig kaschieren kann. Dies müsste eigentlich die entsprechenden historischen Erinnerungen aufkommen lassen an den historischen deutschen Vorfaschismus, als weite Teile des autoritären deutschen Staatsapparates das berüchtigte blinde rechte Auge ausbildeten, indem sie drakonische Repression gegen die Linke mit großzügiger Milde gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in der Weimarer Republik koppelten.

Eine politisierte Polizei, die offen mit Rechtspopulisten und Rechtsextremisten agiert, um antifaschistischen Widerstand gegen die laufende Faschisierung zu marginalisieren und zu kriminalisieren – dies ist keine gruselige historische Erinnerung aus „Weimar“, sondern neue deutsche Realität in München. Rechte Medien und rechtsextreme Zusammenhänge in den sozialen Netzwerken starteten eine typische Hetzkampagne gegen einen geplanten antifaschistischen Kongress in der bayrischen Landeshauptstadt, um schließlich Flankendeckung von der Gewerkschaft der Polizei zu erhalten, die die bei Rechtsextremisten verhasste Veranstaltung im DGB-Haus verhindern wollte.

Der Hintergrund: die weitaus kleinere, nicht im DGB organisierte Deutsche Polizeigewerkschaft hat massiv Stimmung innerhalb der Polizei gegen den Kongress gemacht, und so die im DGB organisierte Gewerkschaft der Polizei von rechts außen unter Druck gesetzt. Die Antifaschisten, die sich Deutschlands braunen Auswurf entgegenstellen, seien „linksradikale Straftäter“ und befänden sich „außerhalb der freiheitlich demokratischen Grundordnung“, so die Gewerkschaft der Polizei in ihrer Urteilsverkündung im Februar 2018.

„Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!“

Doch es geht auch anders – dies nicht nur Chemnitz, wo Nazis direkt neben Polizisten ungestört den Hitlergruß zeigen konnten. Auch wenn es um antisemitische Hetze von Neonazis geht, kann der deutsche Polizeigewerkschaftler sehr viel Fingerspitzengefühl und Empathie entwickeln. Als kürzlich hunderte Neonazis durch Dortmund zogen, konnten sie unbehelligt die antisemitische Parole „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!“ brüllen.

Was sich anhört wie eine unfreiwillige Bestätigung des Adorno-Zitats „Deutschland denken, heißt Auschwitz denken“, schien der Polizei Dortmund keines Einschreitens würdig. Die Gewerkschaft der Polizei bat im Folgenden um „Verständnis für die umstrittene Zurückhaltung der eingesetzten Beamten“. Die Rechten wüssten nun mal sehr genau, „welche Parolen sie skandieren könnten und welche Gesten noch als straffrei gälten“, so der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Heiko Müller. Hier verlässt sich die Polizeigewerkschaft somit ganz auf das Rechtsempfinden deutscher Neonazis. Es laufen nun doch Ermittlungsverfahren – wegen des Einsatzes von Pyrotechnik.

Um Verständnis für Zurückhaltung gegenüber Antifaschisten bräuchten deutsche Polizeigewerkschaftler die Öffentlichkeit nie zu bitten. Seit dem Aufstieg der AfD wird antifaschistischer Widerstand rücksichtslos gebrochen, um die entsprechenden „Exempel“ zu statuieren und weitere Opposition gegenüber der Faschisierung der Bundesrepublik abzuschrecken. Mit „Brechen“ können schon mal buchstäblich Knochenbrüche gemeint sein, die beispielsweise ein Aktivist davongetragen hat, der sich an einer Blockadeaktion gegen den Bundesparteitag der AfD in Hannover beteiligte. Den Hergang, der zu einem doppelten Unterschenkelbruch und mehreren Verletzten führte, schilderte ein Demonstrationsteilnehmer gegenüber dem NDR folgendermaßen:

„Die Beamten seien ohne jede Vorwarnung auf sie losgestürmt, hätten die drei Angeketteten mit Fäusten geschlagen und getreten. Die Beamten hätten an den Armen gezerrt und ihnen die Arme schmerzhaft verdreht, um die Gliedmaßen aus der Pyramide zu lösen – ohne Erfolg. Zudem verweist er auf die Knochenbrüche seines Mitstreiters: Aus seiner Sicht gibt es keine andere Ursache dafür als den Polizeieinsatz. Der Mann habe laut vor Schmerz geschrien.“

Das Statuieren von abschreckenden Exempeln, das hier im Ansatz betreiben wird, ist ein Wesensmerkmal faschistischer Terrorpraxis. Der nachsichtige Umgang der Polizei mit dem „Adolf Hitler Hooligans“ grölenden, faschistischen Mob in Chemnitz kontrastiert mit dem Vorgehen der staatlichen Organe im Hambacher Forst, wo ebenfalls fleißig Exempel statuiert werden. Eine seit vier Monaten in Untersuchungshaft einsitzende Aktivistin ist kürzlich zu neun Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Ihr Vergehen? Die Angeklagte habe andere Aktivisten „trommelnd unterstützt“, denen vorgeworfen wird, Polizisten mit Böllern beworfen zu haben. Das Urteil habe auch einen „generalpräventiven Charakter“, hieß es in der Urteilsbegründung offen. Trommeln? Neun Monate ohne Bewährung!

Der von Naziverstehern wie Seehofer und Maaßen geführte deutsche Staatsapparat übt sich somit wieder in die Praxis des Statuierens von Exempeln ein, um jeglichen zivilgesellschaftlichen Widerstand präventiv zu ersticken. Die Gewaltexzesse und Verwüstungen in Hamburg, die auch durch eine gezielte Eskalationsstrategie des jüngst beförderten Polizeichefs Dudde während des G20-Gipfels angefacht wurden, legten den Grundstein für diese extreme Repressionspolitik. Das Einnehmen einer Embryonalstellung samt Flaschenwurf wurde mit mehrjährigen Haftstrafen ohne Bewährung geahndet.

Bis zum heutigen Tag wird der Fahndungsdruck nach möglichen G20-Randalierern aufrecht gehalten – während die Ermittlungen zu einer rechtsextremistischen Anschlagsserie in Neukölln ergebnislos eingestellt wurden.

In dieses trostlose braune Bild passen auch die unzähligen rechtsextremen Skandale und Skandälchen, die in letzter Zeit öffentlich wurden. Von den mit dem Nazi-Code für „Heil Hitler“ signierten Mails im Berliner LKA, über die Hitlerfans im Polizeipräsidium Neubrandenburg, bis aktuell zu den sächsischen SEK-Männern, die ihre Sympathien für die NS-Terrortruppe NSU durch die Verwendung des Tarnnamens Uwe Böhnhardt beim Einsatz während der Erdogan-Staatsvisite zum Ausdruck brachten.

Es fehlten ihm „die Worte“, so der sächsische LKA-Präsident Petric Kleine in Reaktion auf die rechtsterroristische Tarnnamenswahl zweier seiner Beamten. Er sei „tief enttäuscht“, so der Chef der Behörde, die dem Internet auch den berühmtesten Hutbürger Deutschlands bescherte.

So ein Verhalten ist aber nur möglich, weil die Beamten in einem autoritären, zunehmend nach rechts abdriftenden Umfeld ihren Arbeitsalltag verbringen, in dem solche rechtsterroristischen „Witze“ üblich sind. Wieso sollten auch die Beamten aus ihren Herzen eine Mördergrube machen, wenn der Innenminister und der Verfassungsschutzpräsident so viel Verständnis und offene Symmachien für die braunen Umtriebe und Hetzjagden der Neuen Deutschen Rechten zeigen? Wenn selbst Dresdner Richter ohne weiteres Verständnis für einen Massenmörder und Rechtsterroristen wie Anders Breivik äußern können?

Wenn der Neonationalismus nach der nächsten Krise kein schlechtes Geschäft mehr ist

Die Schwelle scheint überschritten, ab der es diesen Schreibtischtätern schlicht egal ist, wie die Öffentlichkeit darauf reagiert. Sie sitzen in den Machtministerien – und solange der Korpsgeist hält, haben sie kaum etwas zu befürchten. Im Gegensatz zu all jenen, die sich der neudeutschen braunen Welle entgegenstellen.

Das einzige, was die protofaschistischen Deutschtümmler in den Amtsstuben davor abhält, ihren Durchmarsch an die Schalthebel der Macht zu vollenden, ist die gute, auf Pump laufende Weltkonjunktur samt der extremen Exportausrichtung der Bundesrepublik. BDI-Chef Dieter Kempf hat in einem Interview in den Machtkampf in der Koalition interveniert und klargestellt, dass Deutschlands Unternehmerschaft kein Interesse an nationalistischer Abschottung habe. Ein „angeblich heimatliebender Nationalismus, der gegen Zuwanderung und Freihandel mobilisiert“, sei der falsche Weg und schade dem Exportweltmeister Deutschland. „In unserer Gesellschaft darf Fremdenhass keinen Platz haben“, schlussfolgerte Kempf bei seinem Machtwort, der zugleich eine Konjunkturabkühlung in Deutschland aufgrund global zunehmender protektionistischer Tendenzen prognostizierte.

Die Zeit läuft ab. Sobald das ökonomische Kalkül, das den Neonationalismus zu einem „schlechten Geschäft“ macht, beim nächsten Krisenschub zusammenbricht, wird sich der Wind auch in der Unternehmerschaft drehen. Die Transformation der neoliberalen Postdemokratie in ein autoritäres System brutaler Krisenverwaltung wird sich im Rahmen desselben binnenkapitalistischen Machtkalküls, das nun den Freihandel propagiert, gerade zwanghaft aufdrängen. Die Rechten Seilschaften und Rackets, die derzeit an die Macht drängen, sind einfach zu ungeduldig. Sie sind als Avantgarde der Barbarei ihrer Krisenzeit voraus.

Damit läuft auch die Zeit ab, im Rahmen breiter Bündnisbildung noch gesamtgesellschaftlich relevanten antifaschistischen Widerstand zu organisieren, der nicht Konjunkturabhängig wäre.

von Tomasz KoniczQuelle

 

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