Bist du auch Gefährder*in?

Ein bisschen Befugnisausweitung hier, ein paar Gesetzesverschärfungen dort? Was soll die Änderung von ein paar Paragraphen schon ausmachen in der Gesamtscheiße? Nun, vorsorgliche Abhörung von Telefonaten, Präventivhaft, massiver Einsatz von Staatstrojanern, Kontaktverbote, Gesichtserkennungsprogramme für die Überwachung öffentlicher Plätze und und und. Mithilfe der neuen Polizeigesetzgebung geht‘s in Sieben-Meilen-Stiefeln auf zum Polizeistaat. Die vielerorts geplanten Änderungen der Polizeigesetze betreffen linke Aktivist*innen dabei ebenso wie  vermeintlich unpolitische Menschen. Dass das „Gefährder*innen-Suchraster“ dabei insbesondere rassistische Strukturen verschärfen wird, liegt auf der Hand.

Ein Tag im Polizeistaat

Morgens um 10.oo Uhr im Gefährder*innenland Mmmmhh.. gähn.. du reibst dir die Augen, Blick auf die Uhr, raus aus dem Bett. Da klingelt das Telefon. Deine Genossin Songül ist dran. Sie ist ganz aufgeregt und erzählt dir, dass sie Ahmed, ihren Freund nicht mehr sehen dürfen soll. Ihr wurde polizeilich ein Kontaktverbot ausgesprochen, da Ahmed als Gefährder eingestuft wurde. Mit dem neuen Polizeigesetz ist es möglich, dass ohne konkrete Vorkommnisse, ohne begangene Straftaten eine Bewertung von Personen als „Gefährder*innen“ von Seiten der Staats- und Repressionsorgane vorgenommen werden kann. Mittels einer Software werden hierfür Daten über Verhalten, Lebensverlauf, (politischen) Einstellungen, Kontakten, etc. gesammelt und ausgewertet. Das System spuckt dann eine Risikobewertung aus. Wenn du Pech hast, wirst du von einer Computersoftware dann als „drohende Gefahr“ identifiziert. Unter dem neuen Gesetz erlaubt diese Einschätzung im Falle „einer abzusehenden Terrorgefahr“ eine Reihe polizeilicher Zwangs- und Überwachungsmaßnahmen: neben Kontaktverboten auch Aufenthaltsanordnungen bis hin zur Verordnung einer elektronischen Fußfessel, die 24/7 Auskunft darüber gibt wo sich der*die potentielle „Gefährder*in“ aufhält. Ihr beratet euch. Rechtlich gegen diese Maßnahme vorgehen könnt ihr jedoch nicht. Schließlich gibt es nur eine Einschätzung die juristisch nicht zu widerlegen ist – ihr habt keine Straftat begangen, es wird eben „nur“ angenommen dass ihr eine begehen könntet.

Auf Schritt und Tritt

Für deine Freundin heißt das auch, sich eine neue Bleibe zu suchen, da Ahmed und sie eine Wohnung teilen. Du bietest ihr an, erst einmal zu dir zu ziehen. Auf einmal reißt das Gespräch ab. Da weißt du, Vater Staat hört mit. Das ist jetzt ganz legal, denn „um Straftaten zu verhindern“, ist das präventive Abhören oder Unterbrechen von Handyverbindungen durch die Polizei erlaubt. Genervt stürzt du den zweiten Kaffee hinter und machst dich auf zur Uni. Dafür musst du durch die Innenstadt, die mittlerweile vorrangig aus Zonen besteht, in denen du videoüberwacht und mittels  Gesichtserkennungsprogrammen digital identifiziert werden kannst. Die Speicherung der Videoaufnahmen ist im Entwurf auf zwei Monate festgelegt. Die hinzugezogene Expertenkommission zur Bewertung des Gesetzesentwurfs schlägt einen Monat vor. Diese Frist soll der Auswertung der Daten dienen. Die Auswertung soll ein geeignetes Mittel sein, um „Entwicklungen an derartigen Schwerpunkten zu erkennen, Gegenmaßnahmen daraus herzuleiten und damit auch Straftaten zu verhindern“ (SPD). Hat ein Bulle hier einen konkreten Verdacht (für eine Straftat, Gefahrensituation) werden die Daten länger gespeichert. Welche Gründe einen „konkreten Verdacht“ hier rechtfertigen ist nicht genauer spezifiziert, aber absehbar: Für dich ist es stets ein unan- genehmes Gefühl, dich durch diesen mit Augen und Ohren ausgestatteten öffentlichen Raum zu bewegen. Da du weiß bist, trifft dich ein „konkreter Verdacht“ jedoch ungleich seltener als dies bei einer Person of Colour der Fall ist. Freund*innen von dir wohnen in direkter Nähe zur tschechischen Grenze. Hier gilt die Komplettüberwachung: In Grenznähe sind Videoüberwachung und -aufzeichnung an öffentlichen Plätzen, automatisierte Kennzeichenerfassung und Gesichtserkennung in einer 30km-breiten Zone angedacht.

Ein schlechter Sci-Fi-Film?

Es wird Abend. Stell dir vor, du gehst ab und an in das Kulturzentrum deiner Stadt. Dieses wurde als Ausgangsort politischer Veranstaltungen identifiziert und  rechtfertigt für die Polizei deine Zuordnung zu einer bestimmten Szene. Die Veranstaltung, die du besuchen willst, ist eine äußerst gefährliche Sache, z.B. eine Infoveranstaltung den Riots der vergangenen Tage in den Banlieus von Paris. Es wird zu einer Solikundgebung aufgerufen. Um sich die Sache zu vereinfachen, wird das ganze AZ unter Generalverdacht gestellt. Damit werden alle darin ein- und ausgehenden Personen kriminalisiert – und noch mehr Telefone und Computer werden abgehört und ausgespäht. Die Kundgebung, wird ebenfalls als gefährlich eingestuft, was dazu führt, dass das SEK mit Maschinengewehren und Gummigeschossen anrückt. Der Polizei rüstet auf und militarisiert ihre Spezialeinheiten. Die Schwelle für den Einsatz des SEKs ist seit dem G20 Gipfel schon drastisch gesunken. Seit letzten Sommer kann und wird „Widerstand“ gegen Cops härter bestraft. Kontakt mit Bullen wird also immer gefährlicher. Demgegenüber schweigt sich das Gesetz über Möglichkeiten zur verschärften Kontrolle der aufgerüsteten Staatsdiener*innen aus.

Klingt langsam wie ein schlechter Science Fiction Schinken? Mag sein, aber die Gesetzesänderung ist in wichtigen Teilen erschreckend unkonkret (Wer ist ab wann warum ein*e Gefährder*in?) und die Deutungshoheit haben die Cops, deren Macht immer weiter ausgebaut wird. In Anbetracht der politischen Lage in Sachsen kann mensch vielleicht nicht ganz unbegründet davon ausgehen, dass das Polizeigesetz ein riesiger Schritt in Richtung Polizeistaat und absoluter Überwachungsmaschinerie ist. Die geplanten Änderungen greifen tief ins Leben jede*r Einzeln*en ein und versuchen uns als Aktivist*innen jegliche Stimme oppositionelle Haltung zu nehmen und politischen Widerstand im Keim zu ersticken.

Solidarity is our weapon

Deswegen ist es uns wichtig jetzt zu handeln, damit der Gesetzesentwurf so wie er von SPD und CDU formuliert wurde, gar nicht erst zum Tragen kommt. Dass Gegenproteste wirksam sind, haben wir in NRW oder Hessen gesehen. Unter dem Vorwand der „inneren Sicherheit“ wird ein Gesetz verschärft, dass Gewalt legitimiert und Angst vor einer unspezifischen Gefahr schürt. Damit begünstigt es Misstrauen und Vereinzelung innerhalb der Gesellschaft und ebnet den Weg zu einer totalitären Gesellschaft. Stellt euch vor, ihr lasst euch nicht von der Kriminalisierung abschrecken und trefft euch trotzdem weiter im AJZ. Die Anwohner*innen finden es auch scheiße, dass sie auf einmal permanent überwacht werden, sich ausweisen müssen um nach Hause zu gehen und den Umsonstladen nicht mehr besuchen können. Es werden immer mehr Fälle bekannt, in denen Personen zu Unrecht als Gefährder*innen eingestuft wurden, und das kann jede*n treffen. Die Wut über die Verhältnisse wächst, und damit auch die Unterstützung emanzipatorischer Kämpfe. Die eigene Bezugsgruppe wird immer wichtiger und es gibt Strukturen, um die Menschen, die momentan im Knast sitzen, zu unterstützen. Der Gesetzentwurf bedeutet einen Zuwachs von Repression. Repression zielt darauf ab, widerständiges Handeln zu erschweren, was schon im Kopf anfängt: die Abhängigkeit von Strukturen, die für Sicherheit und Ordnung sorgen können, wächst, dafür werden auch Einschnitte innerhalb der eigenen Freiheit in Kauf genommen. Staatsgewalt nimmt zu, dafür schrumpfen die eigenen  Handlungsmöglichkeiten. Wir fühlen uns ohnmächtig, mutlos und wir zweifeln an politischen Zielen und Idealen. Auch diese Gefühle sind gewollt, denn sie hindern uns an unserer politischen Praxis.

Was dagegen hilft? Schließt euch zusammen und lasst euch nicht vereinzeln. Organisiert die Solidarität, im Alltag, materiell und emotional!

  • Wer sind wir?

    Wir sind ein Teil der Proteste von „Polizeigesetz stoppen!“ in Sachsen.

  • Bündnis „Polizeigesetz stoppen!“

  • Zeitung #2