Die juristische Illusion – Warum die Polizei mehr Schwarzfahrer als Millionäre verhaftet

von Rote Wende Leipzig

„Ihr, die ihr euren Wanst und unsre Bravheit liebt
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht und wie ihr’s immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“

aus der Dreigroschenoper von B. Brecht

Deutschlands Straßen sollen sicherer werden – wer jetzt nach einen Tempolimit oder nach Ausbau des Schienenverkehrs fragt, wird enttäuscht sein. Nachweislich gibt es zwar ein mehrfaches an Verkehrstoten als an Gewalttoten, trotzdem sind im Auto-Land BRD Initiativen von Innenministern entgegen den Interessen der mächtigen Automobillobby kaum zu erwarten. Leichter fällt es da die „Schutzhaft“ aus NS-Zeiten wieder einzuführen und in „Präventivhaft“ umzubenennen, in welcher mich die Polizei ohne Anklage und ohne Maximaldauer für immer in Gewahrsam stecken kann.

Es geht aber nicht um Menschenleben oder um die Sicherheit des Einzelnen, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass versucht wird, eine abgesicherte, lebenswerte Existenz im Kapitalismus zu garantieren.

Für die Mehrzahl der Menschen besteht die größte Gefahr darin, sich die Miete nicht mehr leisten zu können oder in Armut abzurutschen und darin leben zu müssen. Doch innerhalb des Kapitalismus wird es nur ein Leben geben, in welchem die Angst vor Not und Elend deine beständigen Begleiter sind. Geldsorgen und Arbeitslosigkeit werden nicht als Ergebnis sozialer Benachteiligung angesehen, sondern als Problem persönlicher Inkompetenz und liederlicher Lebensführung der betroffenen Menschen. Wer einmal zum Jobcenter musste, der weiß, dass es für Bestrafung und Schikane keiner kriminellen Handlung bedarf. Ein starker Staat soll für die notwendige Arbeitsdisziplin so dass wir trotz eines Hungerlohnes weiter schuften gehen. Diese Politik, die zunehmende Kriminalisierung und der Ausbau der polizeilichen und strafrechtlichen Apparate geht vor allem zulasten jener Bevölkerungsteile, die in besonderem Maße von Armut und sozialer Unsicherheit betroffen sind.

Die Aufgabe der Justiz und der Polizei ist einzig auf die Erhaltung des Status Quo ausgerichtet. Der hoffnungsvolle Aufstand gegen despotische Innenministerkonferenzen und verschärfte Polizeigesetze wird verpuffen, wenn nicht an den Grundpfeilern der Gesellschaft gerüttelt wird. Während es eben nicht strafbar ist, Menschen aus Wohnungen zu werfen oder Kinder trotz des unermesslichen Reichtums in Deutschland in Armut aufwachsen zu lassen, wird Schwarzfahren oder Lebensmitteldiebstahl gnadenlos verfolgt und mit Haftstrafen geahndet. Und so wird es offensichtlich was dieser bürgerlich-demokratischer Kapitalismus als wirkliches Vergehen erachtet – die nicht Anerkennung der gesellschaftlichen Besitzverhältnisse. Während das Privateigentum heilig und unantastbar ist, interessiert es hier niemanden, wenn du als Obdachloser verreckst oder wegen Diebstahl hinter Gittern vermoderst, denn du bist ersetzbar und nur im Rahmen des kapitalistischen Verwertungsprozesses interessant.

Es darf uns nicht allein darum gehen, die Verschärfung der Befugnisse von Polizei und anderer Exekutivorgane aufzuhalten, es muss das Konzept der herrschenden Klassenjustiz angegriffen werden, denn die Justiz in Deutschland ist nicht unabhängig oder steht über der gesellschaftlichen Gesamtsituation, sie schwebt nicht in salomonischer Weisheit über den Dingen und spricht Urteile die Ausdruck einer „natürlichen“ Gerechtigkeit darstellen. Alle Gesetze die erlassen werden, tragen das Merkmal der herrschenden Idee einer Zeit in sich und damit die Idee der herrschenden Klasse. Die Knäste sind voll mit Menschen die wenig oder nichts haben. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einer gleichen Straftat, ein armer Mensch härter bestraft wird, als ein wohlhabender. Nicht nur der teurere Anwalt und die bessere Sozialprognose – alles an Sprache, Verhalten und Aussehen, wird der Richter beim reichen Menschen positiv bewerten, wie er es bei jemanden aus unserer Klasse negativ auslegen wird. Je weniger du hast, desto härter wirst du bestraft.

Es ist eben nicht die Schlechtigkeit der Armen, sondern der Armut Schlechtigkeit, welches Kriminalität bedingt.

Klassenkampf auf Vorrat

Aktuell kristallisiert sich die Kritik an den neuen Polizeigesetzen, welche überall in Deutschland eingeführt werden. Dabei werden die Befugnisse der Behörde dermaßen ausgeweitet, dass die Polizei einem Geheimdienst mit den staatsanwaltlichen Rechten gleicht. Es gibt keinen Zweifel über die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz und damit auch die Wahrscheinlichkeit von einem Stopp der krudesten Ideen in den Polizeigesetzen, doch die Richtung bleibt dieselbe: der Staat misstraut seiner Bevölkerung.

Gleichzeitig mit den neuen Verordnungen entstehen auch Bündnisse dagegen.
Getragen werden diese Bündnisse von verschiedenen Organisationen mit den unterschiedlichsten Ansichten. Vordergründig stehen dort Parteien, wie die Grünen oder die SPD, welche in manchen Bundesländern die neuen Polizeiverordnungen einführen, um in anderen Bundesländern dagegen zu demonstrieren.

Diese momentanen staatlichen und halbstaatlichen Bündnispartner sind die Ersten, welche dir in den Arm fallen, wenn du den Stein in die Scheibe einer Bank werfen willst; sie räumen brav die Barrikaden von der Straße, damit die Bullen Platz zum Knüppeln haben; sie brüllen „Keine Gewalt“und stellen sich schützend vor einen Nazi, wenn du deine Faust gegen ihn erhebst. Für sie ist die Polizei der Freund und Helfer, welcher mit den richtigen Regeln und Werkzeugen, seine eigentliche Aufgabe nachkommen kann – einzig „zu viele“ Rechte und „zu wenig“ Kontrolle, einzig zu „harte“ Maßnahmen und zu „brutale“ Waffen schaden der Freiheit in diesem Land. Als wäre der Kampfhund plötzlich ein Chihuahua, wenn man ihm nur ein Maulkorb verpasst. Und als wäre der Frieden und die Freiheit, welchen sie bewahren wollen, der Frieden und die Freiheit aller und nicht einzig die Freiheit mich bestmöglich gewinnbringend zu verkaufen; der Frieden des kapitalistischen Alltags. Und genau da gehen die Wege auseinander.

Es gibt keine Möglichkeit den Charakter der Institution Polizei zu verändern. Dies wird gerade durch die Bestrebungen nach “unabhängige Kontrollstellen“ oder einer möglichst pazifistischen Ausrüstung bestätigt, denn das Misstrauen vor zu viel Polizeibefugnissen offenbart das Wissen des automatischen Missbrauchs durch die Polizei, welcher unausweichlich passieren wird. Die Polizei wird jedes Mittel einsetzen, welches sie in die Hand bekommt und beständig nach „noch mehr“ schreien. Sie ist darauf ausgelegt, die Interessen der Mächtigen gegen den Rest der Gesellschaft zu bewahren – dass sie bei dieser Aufgabe auch Dinge tut, die auch der Restbevölkerung nutzt sei unbestritten. Doch die Ruhe und Ordnung, welche sie bewahren soll, ist die Ruhe und Ordnung der Wertschöpfung. Stabile Verhältnisse sind der Grundpfeiler für eine ungestörte Akkumulation.

Jede bürgerliche Regierung wird sich genötigt sehen, weitere Zugeständnisse zu machen, um nur nicht als „Bremser beim Kampf für Recht und Ordnung“ zu gelten. Doch offenbar dämmert es so manchem bürgerlichen Liberalen, dass der Unterschied von Polizei in Diktaturen und Demokratien nur durch ein zartes Mäntelchen von gesetzlichen Regelungen sichtbar wird, welches allzu schnell abgelegt werden kann.

Der Kern der Institution Polizei ist jedoch immer der selbe und dementsprechend auch die Möglichkeit des schnellen Wechsels von „Gut“ zu „Böse“. Die Polizei unter einer AfD-Regierung wird dann ihr volles Potenzial ausschöpfen, welches vorher von den anderen „demokratischen“ Parteien noch perfekt gezügelt schien.

Die Staatsgewalt ist heute längst nicht mehr von der Logik der Eskalation und des Bürgerkriegs geprägt, sondern von einer immer niedriger werdenden Schwelle, ab der von Seiten des Staates unter Androhung oder Ausübung von Gewalt eingegriffen wird. Kleinste Demonstrationen von wenigen 100 Menschen sehen sich von einem Aufgebot gepanzerter Einheiten umringt, das nur eines zum Ausdruck bringt: „Ihr seid eine potenzielle Gefahr, die wir bei der kleinsten Regung verprügeln und verhaften werden.“

Der Wunsch nach Kontrolle und Sicherheit in diesen unsicheren neoliberalen Zeiten, in welchen nichts mehr kontrollierbar scheint, ist nachvollziehbar. Jedoch wird es nicht sicherer werden, da die Ursachen für die Kriminalität und Gewalt nicht durch Polizei und Justiz bekämpft werden kann, sondern maximal die Symptome.

Erst die Veränderung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse wird eine Welt ermöglichen, in welcher Polizei und Justiz nicht vordergründig der Verteidigung der ungleichen Besitzverhältnisse dienen und damit vielleicht auch eine Welt ganz ohne Polizei, Justiz und Knäste denkbar wird.

  • Wer sind wir?

    Wir sind ein Teil der Proteste von „Polizeigesetz stoppen!“ in Sachsen.

  • Bündnis „Polizeigesetz stoppen!“

  • Zeitung #2